Das Recht des Schwächeren

Von Redaktion · · 2015/05

Im Bemühen, den Opfern von Menschenrechtsverletzungen sowie von eingetretenen oder befürchteten Umweltkatastrophen Recht zu verschaffen, bringen engagierte Anwältinnen und Anwälte Konzerne und andere mächtige Akteure vor Gericht. Und sind dabei erstaunlich erfolgreich, berichtet Erhard Stackl.

Unterstützt von Amnesty International erhielt die 24-jährige Dolly Filártiga in den USA Asyl. Daheim in Paraguay war ihr 17-jähriger Bruder Joelito brutal gefoltert und ermordet worden. Sein Tod sollte eine Warnung für die ganze regimekritische Arztfamilie Filártiga sein. Zu Dollys Überraschung tauchte Joelitos Folterer wenig später in den USA auf. Américo Peña Irala, in Paraguay ein von den Gerichten unbehelligter hoher Polizeibeamter, kam mit einem Touristen-Kurzvisum und blieb auch nach dessen Ablauf in New York. Nur wegen dieses Fehlers erreichte eine Gruppe engagierter Rechtsanwälte, die für das „Center for Constitutional Rights“ (Zentrum für Verfassungsrechte, CCR) arbeiteten, seine Verhaftung. Eine Anklage des Tatverdächtigen in einem Mordfall, der sich in einem 7.000 Kilometer entfernten südamerikanischen Land abgespielt hatte, schien zunächst jedoch aussichtslos.

Doch dann gruben die Juristinnen und Juristen des CCR ein US-Gesetz aus dem Jahr 1789 aus. Der „Alien Tort Claims Act“ (ATCA, Gesetz zur Regelung von Ansprüchen Fremder) sah vor, dass US-Gerichte auch über ausländische Fälle entscheiden können, wenn dabei „das Recht der Nationen“ – also das Völkerrecht – verletzt wurde. Gedacht war das ursprünglich für Überfälle von Piraten auf hoher See. Dollys Anwälte argumentierten damit, dass in der Gegenwart auch Folter und andere Verbrechen gegen die Menschlichkeit darunter fielen – und kamen mit ihrer zivilrechtlichen Klage vor einem US-Gericht durch. Es verurteilte den Folterer im Jahr 1980 zu mehr als zehn Millionen US-Dollar Schadenersatz an die Familie Filártiga.

Wegweisend. Im internationalen Rechtswesen gilt der Fall „Filártiga versus Peña-Irala“ als Meilenstein. Das ATCA-Statut wurde zur wichtigen Waffe im weltweiten Bemühen, die Verantwortlichen für Verbrechen gegen die Menschenrechte zivilrechtlich zu belangen und die Opfer zu entschädigen. ATCA-Verfahren um Milliardenbeträge gab es im Namen der Nachfahren von Holocaust-Opfern und Zwangsarbeitern im Nationalsozialismus (gegen Deutschland und Österreich), aber auch gegen europäische Konzerne, die vom südafrikanischen Apartheid-Regime profitiert hatten. Geklagt wurden Erdölriesen und andere Bergbauunternehmen, die in Ländern des globalen Südens mit repressiven Regimen gegen die Bevölkerung gemeinsame Sache machten oder durch Vergiftung der Umwelt deren Lebensgrundlagen ruinierten.

Nicht alle Klagen waren erfolgreich und nicht immer war das ATCA-Statut im Spiel. Zunehmend werden Klagen gegen Men-schenrechtsverletzungen auch vor nationalen Gerichten, wie schon bisher vor den speziellen Regionalgerichten1) oder vor dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag eingebracht. Die unter der Bezeichnung „Human Rights Litigation“ bekannt gewordene Prozessführung zur Verteidigung der Menschenrechte wird von den zahlreichen NGOs sowie Anwältinnen und Anwälten, die in solchen Fällen oft „pro bono“ (also ohne Honorar) aktiv sind, als Möglichkeit gesehen, auf der Welt gerechtere und auch sozialere Verhältnisse zu schaffen.

Klagen mit Strategie. Wegen dieses weit gefassten Anspruchs spricht man auch von „Strategic Litigation“, wie der Wiener Jus-Professor Manfred Nowak, einer der weltweit renommiertesten Menschenrechtsexperten, erklärt: Dabei gehe es darum, „konkrete Menschenrechtsthemen weiterzubringen. Im Unterschied zu einer normalen Individualbeschwerde beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR, Anm.) oder einer straf- oder zivilrechtlichen Klage gegen jemanden, der Menschenrechte verletzt hat, geht es bei der strategischen Prozessführung darum, wie weit ein Fall wirklich weichenstellend sein kann.“ Als Beispiel nennt Nowak das Menschenrechtszentrum der britischen University of Essex, das die Türkei „mit Individualbeschwerden beim EGMR über Menschenrechtsverletzungen, vor allem gegen die kurdische Minderheit, förmlich bombardierte. Das hat sehr viel bewirkt.“

Ein weiterer Bereich betrifft Einzelpersonen und ihre strafrechtliche Verantwortlichkeit für Menschenrechtsverletzungen. Nowak erwähnt einen Fall, zu dem er selbst als „amicus curiae“ (eine Art Gerichtsgutachter) beigezogen wurde: „Da ging es darum, dass George W. Bush (der ehemalige US-Präsident, der den „War on Terror“ ausrief, Anm.), in Genf einen Vortrag hätte halten sollen.“ Menschenrechtsgruppen stellten bei der Schweizer Staatsanwaltschaft den Antrag, Bush festzunehmen. Nowak: „Das ist dann irgendwie durchgesickert, aber immerhin hat Bush seine Reise abgesagt.“ In den USA hätten sich die Juristinnen und Juristen des „Center for Constitutional Rights“ für die grundlegenden Menschenrechte von Guantanamo-Häftlingen „unglaublich eingesetzt“, sagt Nowak.

In Deutschland und Frankreich hat Anwalt Wolfgang Kaleck es gewagt, Strafanzeigen unter anderem gegen den ehemaligen US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld wegen schwerer Menschenrechtsverletzungen der US-Streitkräfte in Guantanamo und im Irak einzubringen (siehe Interview S. 34). Das Prinzip der Straflosigkeit von (ehemaligen) Regierungsmitgliedern ist allerdings noch immer weitgehend gültig, wenn es auch durch die Verhaftung des chilenischen Ex-Diktators und Folterers Augusto Pinochet 1998 in London durchlöchert wurde. Nowak schränkt deshalb ein: „Die Wahrscheinlichkeit, dass ein deutscher Staatsanwalt gegen Rumsfeld wirklich einen Haftbefehl ausstellt, wenn der sich in Deutschland aufhalten sollte, ist relativ klein. Aber wenn es zumindest dazu führt, dass sich diese Leute nicht mehr so ganz sicher fühlen, wenn sie herumreisen, hat das auch schon einen gewissen Effekt.“

Recht auf Seite der Schwachen. Als dritten, zunehmend an Bedeutung gewinnenden Bereich der „Human Rights Litigation“ nennt Nowak zivilrechtliche Schadenersatzklagen gegen Firmen aus wohlhabenden Staaten, etwa wegen unmenschlicher Arbeitsbedingungen in ausgelagerten Produktionsstätten in Billiglohnländern. Nowak: „Sehr oft gibt es da einen Vergleich, weil die Beklagten die Öffentlichkeit scheuen und gar nicht abwarten, bis es zu einem Urteil kommt.“ Das Ergebnis des Rechtsstreits – in etlichen Fällen sind es Schadenersatzzahlungen in mehrfacher Millionenhöhe – spricht sich dennoch herum.

Klagen für die gute Sache ist also gleichzeitig ein Mittel zur sozialen Veränderung.

Das zeigt auch die Arbeit der „Open Society“, eines Netzwerks von wohltätigen Stiftungen des Finanzier George Soros. Die „Open Society“ sieht die strategische Prozessführung als Methode, die sozialen Verhältnisse von Menschen zu verbessern, „deren Stimmen sonst nicht gehört werden“. Aus diesem Grund plädieren die „Open Society“ und andere internationale Gruppierungen dafür, einen besseren Zugang zum Rechtssystem zu einem globalen Entwicklungsziel zu erklären. Derzeit hätten weltweit vier Milliarden Menschen keine ausreichenden Mittel, um sich gegen die Willkür mächtiger staatlicher oder privater Akteure – und damit etwa gegen Landraub, gesundheitsschädliche Bergbau-, Agrar- und Industrieprojekte – zu wehren. Deshalb sollte der verbesserte Zugang zum Rechtssystem in das Rahmenwerk für nachhaltige Entwicklung, die„Post-2015 Agenda“, aufgenommen werden, das die heuer auslaufenden Millenniumsentwicklungsziele ersetzen soll.

Bedrohte Gemeinschaften. Rechtsverletzungen besonders häufig ausgesetzt sind in vielen Ländern des Südens nationale Minderheiten und indigene Gruppen, die trotz internationaler Schutzvereinbarungen oft Drohungen und Vertreibungen, in manchen Fällen auch Folter und Mord, erleiden. Einer der Juristen, die seit Jahren mächtige Konzerne vor Gericht bringen, ist Jonathan Kaufman von der in den USA gegründeten NGO „EarthRights International“. Als junger Mann habe er auf Taiwan erlebt, wie Indigene dort ihr Land und damit ihre Lebensweise verloren, ohne dagegen etwas tun zu können. Mit dem Ziel, an diesen Verhältnissen etwas zu ändern, studierte er an den US-Unis Harvard, Princeton und Yale, erzählt Kaufman. In der NGO koordiniert er nun die Arbeit jener Advokatinnen und Advokaten, die in Asien, Afrika und Lateinamerika Gemeinschaften beraten, auf deren Gebiet Menschen- und Umweltrechte (eben „Earth Rights“) massiv verletzt wurden.

Die ersten Klienten, derer sich die Juristen im Jahr 1997 annahmen, waren Gruppen von Bäuerinnen und Bauern in Myanmar. Sie lebten entlang der Yadana-Gaspipeline, die unter anderem von der kalifornischen Ölfirma Unocal vom Andamanischen Meer zur thailändischen Grenze gebaut wurde. Die Bewohnerinnen und Bewohner der Gegend hatten berichtet, dass Soldaten des Militärregimes, die das Projekt sichern sollten, sie aus ihren Wohngebieten vertreiben und folternd, vergewaltigend und mordend über sie herfallen würden. Eine in Kalifornien eingebrachte Klage gegen die Ölfirma wegen deren Komplizenschaft mit den Militärs sei die einzige mögliche Gegenwehr der Opfer gewesen, meint Kaufman. Zum Höhepunkt der Militärdiktatur in Myanmar hätten Tatzeugen nicht ausreisen können; schon die Bekanntgabe ihrer Identität wäre für sie tödlich gewesen. Nach US-Recht konnten die Klägerinnen und Kläger, deren Aussagen die Anwälte dokumentierten, anonym bleiben. Der Fall ging unter der Bezeichnung „Doe versus Unocal“ in die Justizgeschichte ein (wobei John und Jane Doe im angloamerikanischen Rechtsraum für „Herr/Frau XY“ stehen). Nach fünf Jahren juristischer Manöver vor Gericht lenkte Unocal ein. Die Ölfirma, die inzwischen zum Chevron-Konzern gehört, zahlte beträchtliche Summen an die Opfer in Myanmar, um deren Lebenssituation zu verbessern.

Ken Saro-Wiwa und Shell. Weltweites Aufsehen verursachte ein Fall in Nigeria, bei dem die Verletzung klassischer Menschenrechte wie der Meinungs- und Versammlungsfreiheit mit dem Entzug der Lebensgrundlagen durch Umweltkatastrophen zusammenkam. In den 1990er Jahren, als in Nigeria eine Militärdiktatur herrschte, hatten der Bürgerrechtler und Schriftsteller Ken Saro-Wiwa und seine Mitstreiterinnen und Mitstreiter für das Überleben der Ogoni-Minderheit gekämpft, deren Existenz durch Umweltverwüstungen gefährdet war, für die sie den Ölkonzern Royal Dutch Shell verantwortlich machten. Auch die Unterdrückung des Umwelt-Aufstands der Ogoni soll Shell unterstützt haben. Nach kurzem Prozess wurden Saro-Wiwa und acht seiner Mitstreiter 1995 gehenkt. EarthRights und weitere NGOs brachten den Fall nach dem ATCA-Statut in den USA vor Gericht. 2009 verglich sich der Konzern außergerichtlich mit den Hinterbliebenen von Ken Saro-Wiwa und den anderen acht Hingerichteten und zahlte 15,5 Millionen US-Dollar. „Davon gingen 7,5 Millionen direkt an die Kläger“, berichtet Kaufman. Der Rest floss laut Kaufman in einen gemeinsamen Fonds des Ogoni-Volks „zur Finanzierung von Gesundheits- und Erziehungsprojekten sowie zur Frauenförderung“.

Das Besondere am Fall „Wiwa versus Royal Dutch“ war, dass Shell nicht einmal eine amerikanische Firma, sondern eine britisch-niederländische ist. Für Jonathan Kaufman war das ATCA-Statut deshalb eine „einzigartige Waffe, weil nur sie es erlaubte, die Verletzung internationaler Menschenrechtsstandards direkt vor Gericht zu bringen“.

An Grenzen gehen. Es blieb aber nicht dabei. Als weitere Angehörige des Ogoni-Volks, vertreten von anderen Anwälten, in den USA Klage gegen Shell einbrachten („Kiobel versus Royal Dutch“), ging der Fall bis zum Höchstgericht – und wurde dort im April 2013 abgeschmettert. Der „Supreme Court“ entschied, dass der Fall zu wenig mit den USA zu tun habe.

Manche Rechtsexpertinnen und -experten betrachten das ATCA-Statut seither als tot und zum Einklagen von Menschenrechtsverletzungen nicht mehr anwendbar. EarthRights-Jurist Kaufman ist sich da nicht so sicher. Zwar gebe es in den US-Gerichten die Tendenz, „anderen Ländern nicht auf die Zehen treten zu wollen“. Aber wenn in den Kiobel-Fall ein US-Konzern verwickelt gewesen wäre, hätte er vielleicht anders ausgehen können.

Auch um das auszuloten, ist EarthRights derzeit bemüht, das US-Höchstgericht zur Befassung mit einem weiteren Fall zu bewegen. Schauplatz ist Kolumbien und es geht es um die Rolle des Bananen-Imperiums Chiquita, das bis zur kürzlich erfolgten Übernahme durch einen brasilianischen Saftproduzenten ein US-Unternehmen war.

Bündnis mit Paramilitärs. In Kolumbien hat Chiquita zum „Schutz“ seiner Bananenplantagen Uraba und Santa Maria zwischen 1997 und 2004 an die rechte Paramilitär-Gruppe AUC umgerechnet 1,3 Millionen Euro bezahlt und ihr auch Waffen geliefert. 2007 verdonnerte das US-Justizministerium Chiquita wegen der „Finanzierung einer terroristischen Vereinigung“ zu einer Strafzahlung von umgerechnet 23 Mio. Euro. Tausende Opfer der gewalttätigen Paramilitärs brachten vor einem Gericht in Florida eine Sammelanklage („Cardona versus Chiquita Brands“) ein, die aber nach längerem Hin und Her im letzten Jahr abgewiesen wurde, weil die US-Rechtsprechung dafür nicht zuständig sei. Dabei seien die „Zahlungen an die Paramilitärs von der Unternehmensspitze in der Firmenzentrale in Ohio genehmigt“ worden, ärgert sich Kaufman. Glücklicherweise verlasse sich EarthRights mit seiner Klage aber nicht bloß auf ATCA, es gebe auch andere Rechtsansprüche, mit denen sich der „Supreme Court“ nun befassen sollte. Vor US-Gerichten können Juristinnen und Juristen auch Tatbestände wie den tätlichen Angriff („assault“) auf die Verbrechensopfer oder deren „gesetzeswidrigen Tod“ („wrongful death“) vorbringen. Darüber hinaus sind bisher ATCA-Verfahren vorbehaltene Fälle in jüngster Zeit auch von Gerichten außerhalb der USA positiv entschieden worden oder man einigte sich außergerichtlich mittels anderer Verfahren.

Weltweite Fronten. Bewohnerinnen und Bewohner der nigerianischen Stadt Bodo, deren mangrovengesäumte Fischgründe sich in schwarze, klebrige Brühe verwandelt hatten, nachdem eine Öl-Pipeline leck geworden war, verklagten die Betreiberfirma Shell in London. Shell machte aber für den Abfluss von Millionen Liter Öl jene Nigerianerinnen und Nigerianer verantwortlich, die die Pipeline illegal angezapft hätten. Doch der Londoner „High Court“ sah die Verantwortung bei Shell, wie wir vergangenes Jahr berichteten (siehe Südwind-Magazin 9/14). Im Jänner 2015 wurde bekannt, dass Shell im Rahmen „des höchsten außergerichtliches Vergleichs, der je wegen einer Ölpest in Nigeria ausgehandelt wurde“ („Der Spiegel“) an die Fischer 70 Millionen Euro Entschädigung zahlte. Vertreten wurden sie durch die Londoner Anwaltskanzlei Leigh Day, in der frühere Greenpeace-Aktivisten arbeiten und die sich auch gegen Fälle von Landgrabbing engagiert.

Freiwillige Leitsätze. Um es gar nicht bis zu einem Gerichtsverfahren kommen zu lassen, gibt es verschiedene Versuche, Unternehmen zu verantwortungsvollem Handeln zu bewegen. Die freiwillige Selbstverpflichtung im Sinne von Corporate Social Responsibility (CSR) spielt dabei eine wichtige Rolle. Institutionen wie die UNO und die OECD – die Organisation 34 führender Industriestaaten – haben Prinzipien für verantwortungsvolles unternehmerisches Handeln formuliert. Zu den OECD-Leitsätzen für multinationale Unternehmen gibt es auch einen „Umsetzungsmechanismus“, der auf einer „Nationalen Kontaktstelle“ in jedem der Mitgliedsländer basiert. In Österreich ist sie im Wirtschaftsministerium angesiedelt. Die Kontaktstelle fungiert „als Dialog- und Schlichtungsplattform“, insbesondere „auch bei konkreten Streitfällen zwischen Unternehmen und Betroffenen der Zivilgesellschaft“, wie es in einer Auskunft des Ministeriums heißt.

Eine dieser Beschwerden wurde bei der österreichischen Kontaktstelle im April 2014 eingebracht. Dem Grazer Technologiekonzern Andritz wird von ECA Watch Österreich, EarthRights und weiteren internationalen und lokalen NGOs vorgeworfen, beim Xayaburi-Staudammprojekt am Mekong in Laos die Standards einer ethischen Unternehmensführung zu verletzen. Die Beschwerde wurde von den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Kontaktpunkts überprüft und ein Mediationsverfahren eingeleitet.

Protest von AnwohnerInnen des Mekong-Flusses gegen den Xayaburi-Damm: Dialog mit Andritz in Wien.

Andritz im Visier. Die Andritz AG, schon bisher an höchst umstrittenen Kraftwerksprojekten wie dem türkischen Ilisu und dem brasilianischen Belo Monte beteiligt, liefert nach eigenen Angaben für Xayaburi acht Kaplanturbinen und Nebenanlagen für 260 Millionen Euro. Das 350 Kilometer flussaufwärts der laotischen Hauptstadt Vientiane projektierte Kraftwerk soll eine Gesamtkapazität von 1.300 Megawatt aufweisen, was einem AKW entspreche.

Der Mekong ist aber auch die Ernährungsgrundlage für 60 Millionen Menschen in Laos, Thailand, Kambodscha und Vietnam. Viele der Anwohnerinnen und Anwohner fürchten, dass durch den Xayaburi-Damm und weitere Kraftwerke die Fischbestände dezimiert werden könnten und große landwirtschaftliche Anbauflächen verschwinden würden.

„Es sieht so aus, als ob die Kraftwerksbetreiber die Möglichkeit solcher Folgen nicht untersucht hätten“, sagt Jonathan Kaufman, der in Wien im Namen der Beschwerdeführerinnen und -führer auftritt. Nachsatz: „Und wenn sie solche Untersuchungen haben, dann geben sie sie nicht heraus.“ Als erfreulich betrachtet er es, dass sich Andritz zu einem Dialog mit den NGOs bereit erklärt hat.

Zum Inhalt der Gespräche will derzeit keine Seite etwas sagen, Andritz-Sprecher Oliver Pokorny betont aber, dass sie „positiv“ verlaufen. Überhaupt sei die weltweit tätige Technologiefirma bemüht, bei jedem neuen Projekt „auch Nachhaltigkeit, Umweltverträglichkeit, soziale und kulturelle Aspekte“ zu analysieren. Im konkreten Fall Xayaburi seien am Mekong etwa „bauliche Maßnahmen“ für die Fischwanderung (Aufstiegshilfen) vorgesehen. Die Befürchtungen der Beschwerdeführer „können wir nicht nachvollziehen“, erklärt Pokorny.

Kaufmann hält noch jeglichen Ausgang der Auseinandersetzung für möglich, von der Forderung nach technischen Nachbesserungen bis zur kompletten Ablehnung des Damms. Auf die Frage, ob die OECD-Empfehlungen für so weitgehende Forderungen nicht ein zahnloses Instrument wären, sagt Kaufmann, dass hinter diesen Richtlinien immerhin Staaten stünden. Tatsächlich wird auch vom österreichischen Wirtschaftsministerium betont, dass sich „alle OECD-Mitgliedstaaten sowie zwölf weitere Staaten2) zur Förderung der Leitsätze für multinationale Unternehmen völkerrechtlich verpflichtet“ haben.

Wunschziel Weltgerichtshof. Gleichzeitig werden aber, wie auch Nowak hervorhebt, in Freihandelsverträgen internationale Schiedsgerichte vorgesehen, die Konzerne der staatlichen Rechtsprechung entziehen und den Schutz der privaten Investoren im Auge haben. Nowak hält deshalb an der schon vor Jahren formulierten Idee fest, einen „Weltgerichtshof für Menschenrechte“ zu schaffen (siehe Südwind-Magazin 12/2012). Regionale Gerichtshöfe wie der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte seien etwa im Bereich der „Wiedergutmachung für die Opfer schwach“ und können auch keine Konzerne zur Verantwortung ziehen.

Das gleiche gilt für den Internationalen Strafgerichtshof, der von einigen Ländern, darunter die USA und China, nicht einmal anerkannt wird. Er richtet über schwerste Vergehen wie Völkermord, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit und verurteilt individuelle Täter, keine Staaten und schon gar keine Unternehmen.

Zu Nowaks Bedauern seien selbst Staaten weitgehend immun, aber auch internationale Organisationen wie die UNO können nicht verklagt werden – obwohl es etwa immer wieder Übergriffe von Blauhelmen auf die Bevölkerung gibt.

Vor einem Weltgerichtshof – der endlich alle wesentlichen Akteure vor Gericht stellen könnte – wären neben den bürgerlichen und politischen Rechten zudem auch soziale wie das Recht auf Bildung oder auf Gesundheit einklagbar, sagt Nowak. Seit einer vor sieben Jahren vor allem von der Schweiz angestoßenen „Menschenrechtsagenda für das 21. Jahrhundert“ mit dem Weltgerichtshof als Kernidee sei die Diskussion darüber aber wieder erlahmt. Wenn Nowak internationale Gesprächspartnerinnen und -partner heute darauf anspreche, bekomme er zu hören: „Das ist eine gescheite Idee, aber derzeit unrealistisch.“

Erhard Stackl, langjähriger Chef vom Dienst der Tageszeitung Der Standard, ist freiberuflicher Autor und Journalist sowie Herausgebervertreter des Südwind-Magazins.

1) Den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) im französischen Straßburg gibt es seit 1959. Seit 2007 besteht der Afrikanische Menschenrechtsgerichtshof (AfCHPR) in Arusha, Tansania. Der seit 1979 existierende Interamerikanische Gerichtshof für Menschenrechte hat seinen Sitz in San José, Costa Rica. In Asien gibt es keine vergleichbare Einrichtung.

2) Argentinien, Costa Rica, Brasilien, Ägypten, Kolumbien, Lettland, Litauen, Marokko, Tunesien, Peru, Rumänien und Jordanien.

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